23. September 2004 – Erster Morgen in Nizza

Ich habe erstaunlich gut geschlafen, abgesehen von ein paar Orientierungsschwächen beim gelegentlichen Aufwachen nachts. 

Gerade habe ich nach einem vernünftigen Radiosender gesucht und bin auf eine Tenor-Arie mit Oboe gestoßen. „Was willst Du Dich, mein Geist, entsetzen, wenn meine nächste Stunde schlägt?“ Klingt nach was Größerem, ich tippe auf Bach. Eben kam noch ein Alt-Rezitativ, jetzt schmettert der Bass mit Querflötenbegleitung glaube ich. Schön!
(Laut Ansage mit nettem französischen Akzent war das die Bach-Kantate: Liebster Gott, wann werde ich sterben?)

Ausgepackt habe ich noch nichts – ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, deswegen liege ich noch im Bett.

Aussicht aus dem Studentenzimmer

Vor meinem Fenster steht eine Palme, ich habe den Blick auf den Innenhof und im Hintergrund ein bisschen Berg. Hat auch Vorteile: Sebastian (aus dem Saarland, wird auch ESSI3 studieren) hat einen tollen Blick über Nizza, dafür knallt den ganzen Tag die Sonne ins Zimmer und außerdem gibts grad direkt vor dem Haus eine Baustelle. Hier bei mir ist es angenehm, was den Lärmpegel angeht, soweit ich das bisher beurteilen kann.

Die weiteren ersten Eindrücke:

Die Dame von der Rezeption scheint sehr nett zu sein, hier ist immer was los, aus vielen Zimnmern tönt laut Musik, wenn man anderen Bewohnern begegnet sagt man sich „Bonjour“ – ich habe es ein, zweimal mit „Salut“ versucht, aber das ist wohl nicht üblich. Das Wohnheim selbst liegt auf einem Hügel , auf der Straße fragen hilft nichts, das Wohnheim kennt kein Mensch, ich habe hier angerufen, um nachzufragen. (Avenue de la Californie venant de Nice Centre: „Après le grand Champion à droite, c’est sens unique, la rue prochaine à gauche, avant une pharmacie. Puis compter cinq virages et voilá, la Rue Robert Latouche!“). It’s that easy! 

Wenn man also den Hügel hier runtergeht ist man bald auf der Avenue de la Californie, parallel zur Promenade des Anglais, also praktisch nicht zu weit vom Strand weg. Und o. g. Champion ist auch nicht weit. Gestern habe ich gerade noch vor Ladenschluß geschafft, ein paar Sachen einzukaufen, damit ich nicht verhungere: 2 kleine Pastetchen, Baguette, Volvic (Teewasser! das aus der Leitung je nach Mondphase oder was weiß ich, mal mehr und mal weniger gechlort…), Müsli, Milch. Muß mich da heut mal genauer umsehen.

Erster Tag geschafft!

Nachdem ich doch irgendwann einmal aufgestanden bin habe ich ein bischen ausgepackt, die Sachen weggeräumt, die ich Weihnachten wieder mit heim nehme, weil ich sie eh nicht brauchen kann und ein bischen geputzt, bevor ich was einräume.

Ein Bild der Waschecke im Studentenzimmer, mit Dusche und Waschbecken

Habe die Dusche getestet, funktioniert ganz passabel – wer gerne wechselduscht kann sich die Mühe des Temperaturwechsels per Hand sparen, das macht die Dusche alleine! Wenn das kein Komfort ist…

Wäschetrockner vor dem Fenster, auf dem eine Taube sitzt

Vor dem Fenster sind praktische Wäschetrockner aufgehängt, nachdem ich schon mehr als eine Taube spazierengehen sah da draußen hat sich das aber wohl erübrigt.

Unterwegs war ich schließlich auch: Habe in der Reception die Mängelliste ausfüllen lassen (hab mir hier alles aufgeschrieben und der Dame erklärt, nachdem mir die baulichen Fachausdrücke nicht gerade geläufig sind.) Außerdem habe ich über die Höhe der ersten Miete verhandelt und bin mit dem neuen Zahlschein gleich zur Post: Kaution + Miete + Postgebühren = 258,67 Euro

Danach habe ich mich im Handy-Laden neben dem Champion erkundigt, was ich für Möglichkeiten habe, angeblich gibt es bei Orange einen 1-Jahres-Vertrag mit monatlichen Freiminuten, in denen ich hintelefonieren kann, wo ich will. Für einen Vertrag brauche ich dann allerdings ein Konto, also habe ich mir erstmal den Prospekt mitgenommen zum überlegen.

Wie angekündigt habe ich dann den Supermarkt genauer angeschaut und nachdem der Kühlschrank mittlerweile in Betrieb ist hab ich etwas mehr gekauft – noch nichts, was man kochen müßte, dazu bin ich noch nicht motiviert. Im Champion bin ich auch prompt vom Mann meines Lebens (zumindest wenns nach ihm ginge) angesprochen worden, was ich so mache, wo ich wohne, und daß ich bestimmt da zuviel zahle und also lieber zu ihm ziehen soll. Er wollte partout Nummern austauschen, nur leider, leider, hatte keiner von uns einen Stift. Naja, aber wir würden uns ja bestimmt zufällig mal wiedertreffen.

Taten wir dann auch, ich hab meinen Einkauf heimgebracht, noch was gegessen, überlegt, was ich noch tun soll und mich für das Flanieren auf der Promenade des Anglais entschieden. Dort hab ich ihn auch wiedergetroffen – ein bekanntes Gesicht in Nizza am ersten Tag, wer hätte das gedacht! Das Gespräch war dann auch schon etwas sympathischer, er meinte, er würde eben gern mit jemand zusammenleben, schließlich wäre vieles einfacher und billiger zu zweit („Vrai ou pas?“). Ich soll ihm doch jemand vorbeischicken, wenn ich „une femme libre“ kennenlerne, er ginge immer hier spazieren…

Habe dann meine Promenade fortgesetzt, auf dieser Seite der Baie des Anges war die Sonne schon weg. Immer noch ist es ausgesprochen unglaublich, daß ich hier sein soll. Nizza!

Panoramabild des Quais des États Unis

Das klingt so traumhaft und irgendwie fast unerreichbar, daß ich doch noch nicht ganz angekommen bin…

Ach ja, um nochmal auf den Lärmpegel zurückzukommen: Während ich schreibe sind glaube ich schon 4 oder 5 Flugzeuge über uns hinweggeflogen, das hört man schon, aber man gewöhnt sich dran. Draußen wird überall Musik gehört und ein gewisser Lärmpegel ist schon da von den Bewohnern, aber ich kann das wunderbar ausblenden, hab schon lauteres erlebt. Ich bleibe also bei dem Prädikat „angenehm“.

So. Auch wenn dreiviertel 10 Uhr in Nizza an sich keine Zeit fürs Bett sein kann, werde ich mich doch jetzt hinlegen – mit meinen 25 Jahren hat mich die Reise wohl geschlaucht! (PS: drei weitere Flugzeuge seit oben – ich hätte nicht anfangen sollen zu zählen, jetzt hör ich sie…)